Der zweifelhafte Ruf, das dort in den letzten ein, zwei Jahren eine verdächtige Anzahl an Hipstern anzutreffen ist, bestätigt sich meist nur bedingt. Im heuten Konzertpublikum vor und in der Halle ist davon fast nichts auszumachen. Rocker, Doomer, Metalheads, Stoner-Kiffer und Alt-Hippies trinken alle gemütlich ihr Bierchen, rauchen zahlreiche Kippen oder sonstige Rauchwaren und kehren zahlreich in den hervorragenden, wirklich authentisches Essen servierenden Vietnam-Imbiss und -Shop ein.
Den Anfang machen heute die verspulten, durchaus kessen Girls von L.A. WITCH. Die musikalische Selbstbeschreibung lautet „Reverb-soaked, Punked out Rock“ – was es im Prinzip ganz gut trifft. Manchmal denkt man an frühe Hole, Nancy Sinatra (Gesang), Sonic Youth oder eben die trippige Garage-Rock-Band von nebenan – garniert mit ganz leisen meditativen Parts. Irgendwo kreiert das Trio eine dunkle, kaputte und abgefuckte, aber gleichzeitig verträumt-schöne Atmosphäre. Definitiv ein Soundtrack für einen dunklen, alten, miefigen und abgefuckten Night Club, in dem die Szene aus einem Film Noir spielen könnte. 60s-Hippie-Sound trifft auf rohe Punk-Energie, surreale David-Lynch-Soundscapes auf zuckersüße Grunge-Vocals. Alle drei Musikerinnen haben zudem eine tolle, fesselnde Ausstrahlung und bearbeiten ihre Instrumente mit viel Hingabe und Feeling. Tight sowie gut eingespielt sind L.A. WITCH ebenfalls, wodurch ihnen das Publikum gleich nach den ersten zwei Songs `Drive Your Car` und `Kill My Baby Tonight` förmlich aus der Hand frisst und in den Songpausen fleißig applaudiert. Mit `Generation-Z` und `Brian` werden zwei neuere Stücke vorgestellt, die ebenso gut ankommen. Glücklicherweise ist die Akustik im Strom sehr gut, wodurch auch Feinheiten in Spiel und Solo-Einlagen zur Geltung kommen. Nach einem nagelneuen, bisher unbetitelten Track folgt das Highlight `Sexorexia`, welches äh….wirklich sehr sexy tönt! `You Love Nothing` versprüht PJ-Harvey- und Juliette-Lewis-Vibes, das Ganze allerdings auf einer Menge Psychedelica und Weed. Die Stimmung dieser Combo zieht nahezu alle Anwesenden kollektiv in den Bann, wodurch der Gig subjektiv gesehen mit `Get Lost`, zu dem ein sehr intensives Video gedreht wurde, viel zu schnell endet. Erfrischend eigensinnig und um Welten mehr als eine durchschnittliche Anheizer-Show.
Die Umbaupause für den Headliner entpuppt sich dann als langwierig. Es wird komplett anderes Equipment aufgefahren, ein gründlichster Soundcheck durchgeführt und auch ein Beamer für Video-Projektionen vorbereitet. Ein Stromproblem wird da auch mal kurzfristig per Leiter und unorthodox an der Deckenwand mit Tape befestigten Kabeln gelöst. Passt, wackelt, sitzt und hat Luft sozusagen! Aber das lange Warten lohnt sich. UNCLE ACID & THE DEADBEATS sind derzeit nämlich für Freunde von eigenständiger, trippiger 70s-Rockmusik mit Sabbath-Groove und unwiderstehlichen Twin-Leadgitarren der geilste Scheiß überhaupt! Glücklicherweise bisher weder von der Hipster-„Community“, noch von der Masse an Wacken-Metallern und Rock-Im-Park-Gängern entdeckt. Der Gourmet-Musikliebhaber wünscht sich irgendwie insgeheim, dass dies noch lange so bleiben möge, und fragt sich, wie lange er seine neue Lieblingsband noch in einem so kleinen, kultigen sowie verschwitzten Club sehen und dort ein super cooles T-Shirt für 15 Euro erwerben kann. Andererseits gönnt man den Briten den Erfolg voll und ganz und wäre nicht überrascht, wenn sich anhand der herausragenden Live-Qualitäten sowie fast magischen Musik bald der große Erfolg auf breiter Ebene einstellen würde. Zum Glück sind die Engländer dann doch weit kauziger und inhaltlich kompromissloser als z.B. Ghost.
Anyway, nach fast 50 Minuten stehen UNCLE ACID & THE DEADBEATS dann endlich auf der Bühne und hüllen sich bewusst ganz ohne Frontal-Licht und auch bei sonst spärlicher Ausleuchtung, aber mit atmosphärischen Nebenschwaden und Farbspielereien für fast den gesamten Auftritt größtenteils in Dunkelheit. Dies verstärkt die Stimmung der Musik nicht nur während `I See Through You`, dem Opener der neuen Platte „Wasteland“, optimal. Der Sound ist absolut perfekt ausbalanciert, glasklar, und jede noch so kleine Feinheit im Spiel der einzelnen Musik kommt ideal zur Geltung. Keine Frage, dass hier auf der Bühne sowie hinter den Kulissen absolute Perfektionisten am Werk sind. Einen so klaren, fuzzigen und gleichzeitig kräftigen Klampfensound hat man z.B. von einer Rockband schon lange nicht mehr gehört. Drummer Dave „The Carn“ Rice ist zudem ein „hard hitter“, der nicht mit unglaublicher Wucht sein Kit verdrischt, sondern auch einem Schweizer Uhrwerk gleicht. Dies gilt im Zusammenspiel selbstredend auch für die Tightness der restlichen Band – einfach vorbildlich! Auf Ansagen wird während der nächsten Songs `Waiting For Blood`, `Mr. Abraxas` (viel intensiver als auf Konserve!), `Mind Crawler` und `Death`s Door` verzichtet – das Quartett lässt einfach die Musik sprechen. Der Smasher `Shockwave City` wird von Frontmann, Gitarrist und Hauptsongwriter Kevin R. Starrs aber kurz als ein Highlight vom neuen Album vorgestellt. Dieser geht völlig in seiner Performance auf und scheint während Solo-Einlagen regelrecht mit seiner Gitarre zu verschmelzen. Dies nennt man pure Leidenschaft! Auch das Debüt „Vol. 1” wird heute nicht ausgespart. `Crystal Spiders` und `Dead Eyes Of London` kommen ebenfalls gut an. Objektiv betrachtet kann aber dieses ganz frühe Material nicht mit den Großtaten der folgenden drei Werke mithalten – wenn auch `Dead Eyes Of London` wegen seiner Geschwindigkeit und dem Drive für etwas Abwechslung inmitten der anderen recht groovigen, hypnotischen Midtempo-Kompositionen sorgen kann. Es folgt mit `Pusher Man` d-a-sHighlight von „The Night Creeper“, gefolgt von `I`ll Cut You Down`, einem der größten Band-Hits vom Zweitling „Bloodlust“ – und das Strom steht völlig Kopf! Das lässig swingende `13 Candles` hilft hier wieder etwas beim Runterkommen.
Die Combo verschwindet kurz von der Bühne, um den Zugabe-Teil einzuläuten. Mit dem Übersong `Melody Lane` geht es dann schnell fulminant weiter. Der ganze Club singt kollektiv mit. Zwischenzeitlich hat sich eine Horde ganz junger Nachwuchs-Rocker deutlich unter 20 bis direkt vor die Bühne gekämpft und bangt bzw. tanzt sich völlig in Trance – erfrischender Enthusiasmus. Verzaubernd als auch betörend wirkt stets der Gesang von `Evil Love`, ehe das neue Stück `No Return` den Deckel draufmacht. Dieses Konzert war eine echte Machtdemonstration und ist ohne Wenn und Aber als eine der besten Rock-Shows des gesamten Jahres 2018 zu bezeichnen. Wow!
Setlist L.A. WITCH:
Drive Your Car
Kill My Baby Tonight
Generation-Z
Brian
Untitled
Sexorexia
You Love Nothing
Get Lost
Setlist UNCLE ACID & THE DEADBEATS:
I See Through You
Waiting For Blood
Mt. Abraxas
Mind Crawler
Death`s Door
Shockwave City
Crystal Spiders
Dead Eyes Of London
Pusher Man
I`ll Cut You Down
Blood Runner
13 Candles
Melody Lane
Evil Love
No Return
Text: Markus Wiesmüller
Fotos: Anastasiya Wiesmüller