Zum Hauptinhalt springen

Tödlicher Tropfen

Nach dem verstörenden „Schwarm der Schrecken“ legt Regisseur Just Philippot nun den eindrucksvoller Thriller ACID – TÖDLICHER REGEN vor, der mit einer packenden Inszenierung und vielschichtigen Charakteren zu glänzen weiß.

2018 machte Just Philippot mit seinem eindringlichen Kurzfilm „Acide“ international auf sich aufmerksam – nun präsentiert er die lang erwartete Spielfilmadaption seiner Geschichte, und das Ergebnis ist beeindruckend. ACID – TÖDLICHER REGEN erweist sich als ein mitreißender Katastrophenfilm, der gleichermaßen unterhält und erschüttert. 

Die Geschichte beginnt relativ harmlos: Frankreich wird von einer Hitzewelle heimgesucht, wie es in den letzten Sommern zur bedrückenden Normalität geworden ist. Auch dass sich plötzlich der Himmel zuzieht und sintflutartige Regenfälle folgen, ist nicht unbekannt. Doch der Regen, der dann folgt, ist kein normaler Regen. Er ist ätzend, eine neue Form des sauren Niederschlags, die organisches Material ebenso zerstört wie Metall – eine chemische Apokalypse, die gnadenlos über ihre Opfer hereinbricht.

Im Zentrum dieser Katastrophe steht eine zerrüttete Familie, die widerwillig zusammenarbeiten muss, um zu überleben. Michal (Guillaume Canet, „Asterix & Obelix im Reich der Mitte“), ein Fabrikarbeiter, eilt seiner Ex-Frau Élise (Laetitia Dosch, „Hundschuldig“) und der ihnen zunehmend entfremdeten Teenager-Tochter Selma (Patience Munchenbach) zu Hilfe. Gemeinsam versuchen sie, der Katastrophe zu trotzen, doch ihre familieninternen Konflikte erschweren das Überleben.

Die großen Katastrophenfilmen der siebziger Jahre dienten Philippot offensichtlich als Inspiration. Auch bei ihm stehen keine klassischen, moralisch stets überlegenen Hollywood-Helden im Mittelpunkt. Seine Protagonisten sind Menschen mit Fehlern, Zweifeln und Schwächen. Michal ist nicht der strahlende Retter, Élise ist keine unerschütterliche Mutterfigur, und Selma kämpft mit den typischen Ängsten, der Unvernunft und dem Trotz eines Teenagers. Gerade diese gebrochene Menschlichkeit macht den Film so greifbar. Es sind ihre Fehler – falsche Entscheidungen, impulsive Handlungen – die den Figuren Tiefe verleihen und sie umso glaubwürdiger machen.

Besonders erschütternd ist, dass der Regisseur seine Charaktere nicht verschont. Auch die Hauptfiguren kommen hier nicht unbeschadet davon. Diese Momente sind es, die einen emotional mitnehmen, weil sie nichts beschönigen und keine falschen Hoffnungen schüren.

Die Inszenierung besticht durch ihre technische Perfektion. Die Kameraarbeit fängt die beklemmende Atmosphäre und die existenzielle Bedrohung in schwindelerregender Intensität ein. Jeder Schnitt ist präzise gesetzt, jede Bewegung der Kamera ein Beitrag zur Erzählung. Hinzu kommt der meisterhaft eingesetzte Soundtrack, der mit einer feinen Balance aus Musik und Stille die Spannung ins Unerträgliche steigert.

Doch der Film ist weit mehr als ein audiovisuelles Spektakel. Philippot verleiht seiner dystopischen Vision eine bedrückende emotionale Tiefe. Philippot gelingt es, Genre-Exploitation mit ernstem Drama zu verbinden, ohne dabei den Fokus auf das menschliche Element zu verlieren. Er erzählt nicht nur von Überlebenden in einer Extremsituation, sondern von einer Gesellschaft am Abgrund, von Menschen, die auf sich allein gestellt sind und mit den Konsequenzen ihres Lebens und ihrer Umweltentscheidungen kämpfen müssen.

Mit ACID – TÖDLICHER REGEN etabliert sich Just Philippot endgültig als Hoffnungsträger des europäischen Genrekinos. Sein Film ist eine kraftvolle Mischung aus technischer Brillanz und emotionaler Wucht – ein Erlebnis, das ebenso fesselt wie nachdenklich stimmt.

Peter Elwe

Titel: ACID – TÖDLICHER REGEN 

Land/Jahr: Frankreich, 2023
Label: PLAION PICTURES

FSK & Laufzeit: ab 12, ca. 96 Min.
Verkaufsstart: veröffentlicht