Ein Stück weit wurde mit Tommy Greñas (Gesang, Keyboard), Paul Hischier (Bass) und Michael Esther (Gitarre, Slide) im Heft auch bereits über die Texte FARFLUNGs gesprochen. Erstgenannter knüpft genau dort an, um das Interview fortzuführen. Der singende Tastenmann läutet den zweiten Teil der Unterredung auch gleich mit einer rhetorischen Frage ein.
Tommy: Ist es nicht aufregend und interessant, Texte vor dem Hintergrund der eigenen Wahrnehmung zu interpretieren? Ich hatte mir schon immer ausgemalt, dass meine Lieblingssongs ganz andere Lyrics hätten. Manchmal meinte ich, dass sie interessanter seien als sie das de facto wirklich waren. Diese Situation habe ich seit jeher geliebt und dies ist auch Teil des FARFLUNG-Fleckenteppichs! Alles in dieser Welt wird zunehmend absurder – wahrhaft absurd! Ich empfinde demgegenüber eine Art Abwehrreaktion, was zu einem Bedürfnis nach Schutz führt. Sci-Fi ist auch sozusagen eine „Kunst des Eskapismus“, eine sichere, von außen abgeschottete Kapsel!
Existieren bereits Pläne, dass FARFLUNG mit ihrer Raumkapsel dann auch in absehbarer Zeit mal Halt in europäischen Konzerthallen machen?
Michael: Ja, diesen Oktober werden wir bei euch touren.
Paul: Auch von unserer neuen Platte werden wir sicherlich ein paar Songs spielen.
Mit welchen Bands würden FARFLUNG gerne mal eine Bühne teilen? Aufgrund der bereits im Interview in Ausgabe #116 angeklungenen vereinzelten Inspirationsquellen sowie der Tatsache, dass die Kalifornier selbst Vergangenheit und Zukunft abgespacter Klänge vereinen, würden Legenden der Marke Voivod, Hawkwind, Guru Guru oder Killing Joke interessante wie passende Konstellationen darstellen.
Michael: Das ist schwierig, wir haben im Laufe all der Jahre schon mit ziemlich vielen großartigen Gruppen zusammengespielt. Das was ich gegenwärtig hinsichtlich Tourneen am interessantesten finde, ist, wenn es einem möglich ist, junge, unbekannte Gruppen zu sehen, die interessante Musik erschaffen und die ihre eigenen Szenen entwickeln, die nicht daran interessiert sind, andere gut etablierte Formationen zu kopieren.
Paul: Mit Ausnahme von Guru Guru haben wir bis dato bereits mit jeder der von Dir in Deiner Frage aufgezählten Bands gespielt. Gnod sind ziemlich groovy und ich könnte mir vorstellen, dass wir es genießen würden, mit Gruppen wie Faust, Merzbow, SWANS, Circle, Oranssi Pazuzu, Shub Niggurath, The Body sowie den meisten Formationen, die in der berühmt-berüchtigten Liste von Nurse With Wound genannt sind, aufzutreten.
In der Vergangenheit haben sich FARFLUNG auch an die eine oder andere Cover-Version herangewagt.
Michael: Mein Lieblings-Cover ist das des Can-Songs 'Future Days', der sich ursprünglich auf einer von Damo Suzukis Network-Aufnahmen befand.
Can ist dabei ein gutes Stichwort, denn als einige der vielen Höhepunkte in der Geschichte FARFLUNGs könnte man mit Sicherheit die Zusammenarbeit mit Legenden wie Nik Turner von Hawkwind oder eben besagtem Damo von der erwähnten deutschen Avantgarde-Legende bezeichnen. Wie kam der Kontakt zu diesen Musikern zusammen und inwiefern haben diese Kollaborationen die Kalifornier selbst inspiriert?
Michael: All das ist Tommy und seiner großzügigen Ader zu verdanken, denn er stellt das Bindeglied zwischen uns und diesen Herren dar. Tommy arbeitete bereits alleine als auch im Kontext der Band mit diesen Musikern zusammen. Er ist sozusagen der Botschafter unseres Kollektivs!
Wie schreibt dieses Kollektiv eigentlich seine Songs? Entwickeln sich die meisten Ideen aus spontanen Jamsessions oder könnten sich die Kalifornier auch vorstellen, Stücke allein daheim auf der Couch zu schreiben?
Tommy: Das Ganze kann als kosmischer Anfang angesehen werden, welcher einen rohen, sich in Sound manifestierenden Geist gebiert. Ich sammle mich, lasse mich gehen und einfach alles aus mir herausfließen. Da existieren schlichtweg keine großartigen Gedanken im Vorfeld! Ein Song formt sich aus diesem Grundfundament.
Michael: Die Musiker von FARFLUNG sind mittlerweile ziemlich weit über den Globus verteilt. Ich lebe in Europa, Tommy und Chris in L.A. und Paul verfügt über drei Stützpunkte, von denen aus er operieren kann, namentlich Hongkong, Berlin sowie Los Angeles. Unser Schaffensprozess unterscheidet sich also sehr von jener Herangehensweise, die wir noch vor einigen Jahren pflegten, als wir noch alle zusammen in einem Studio zusammen an Ideen arbeiteten. Mittlerweile sind wir in separaten Studios zugange und schicken uns via Internet Songideen hin und her…ich würde das gegenwärtig als eine Art „langsamer Magie“ bezeichnen.
Müssen sich FARFLUNG dann erst in eine bestimmte Stimmung versetzen, um die Atmosphäre ihres charakteristischen Sound einzufangen? Helfen gar gewisse bewusstseinserweiternde Substanzen dabei, kreativer zu sein? Oder ist Letztgenanntes eindeutig ins Reich der Mythen und Legenden der Rockmusik-Historie einzuordnen?
Paul: Die meiste Musik auf „This Capsule“ wurde komplett nüchtern komponiert und eingespielt. Es kann durchaus interessant sein, Drogen zu konsumieren, um Musik zu machen, zu der man Drogen konsumieren kann, aber dabei kann jedoch auch ziemlicher Müll herauskommen.
Tommy: Zumeist versuche ich eine Ebene von irgendetwas zu erreichen, um zu einer Ebene von irgendetwas zu gelangen.
Michael: Ich schätze, dass das ganz auf die Person ankommt. Sämtliche Erfahrungen, die ich während des Erweiterns meines Bewusstseins in der Vergangenheit sammeln konnte, sind gegenwärtig hier immer noch in mir drin. Alles dreht sich darum, Zugang zu einem kreativen Raum zu finden!
Die kalifornische Heimat der FARFLUNG-Musiker war in den späten 60ern Wiege der ersten Welle psychedelischer Musik aus den Vereinigten Staaten. Bis zu welchem Grad glauben Michael, Tommy und Paul, diesen Vibe mit ihrer eigenen Band verinnerlicht zu haben? Könnte man FARFLUNG gar als logische Fortentwicklung dessen was damals begann bezeichnen?
Michael: Wir entsprangen den unterschiedlichsten Orten und trafen alle in L.A. aufeinander. Tommy kam eigentlich aus Belfast, Paul und ich aus San Francisco. Ich persönlich fühle mich der 60er und 70er Jahre - Szene meiner Heimatstadt durchaus sehr verbunden. Was Musikszenen in Los Angeles betrifft, so empfinde ich die intimste Nähe zur Undergroundszene, welcher wir entwuchsen und die sich grundlegend gesehen um Bands von Studenten des California Institute Of Arts sowie des ArtCenters zentrierte.
Tommy: Als Jugendlicher hörte ich damals in Irland in erster Linie die dortige Musik und das was John Peel damals in den 80ern im Radio durch den Äther jagte. Kraftwerk, Captain Beefheart und Neu! waren damals meine Lieblingsgruppen. Zudem liebte ich die Tribal-kosmischen Sounds der frühen Hawkwind! Amon Düül II markierten bei mir und Michael die größtmögliche Schnittmenge. Das ganze Post Punk – Zeug sowie Avantgarde-Klänge jeglicher Couleur waren ungemein wichtig. Alles was den typischen Blues aus der Musik saugte fand ich aufregend!
Paul: Oft hegen psychedelische Bands eine gewisse Affinität für fernöstliche Musik. Dies trifft auch auf FARFLUNG zu, weswegen es durchaus zutreffend ist, dass wir in gewisser Weise Teil einer logischen Weiterführung einer bestimmten Tradition sind.
Seit dem ersten Tag, als der Schreiberling die 2012 erschienene Split FARFLUNGs mit den Italienern Black Rainbows zu Gehör bekam, fragte er sich, woher eigentlich konkret die Inspiration für den Bandnamen rührte? Die Deutungsmöglichkeit, dass es Programm bei den Kaliforniern ist, zu versuchen, die weit entfernten (engl. „far-flung“) Randgebiete nichtkommerzieller Rockmusik zu erforschen, passt da eigentlich an und für sich recht gut ins Bild.
Tommy: Ich und unser ursprünglicher Bassist Buck McGibbony kuckten uns eines Nachts bekifft „Star Trek“ an. Spock ließ irgendwann in einem Satz mal das Wort „far-flung“ fallen und wir dachten, dies sei eigentlich ein ziemlich guter Bandname. Das ist alles und das meine ich ernst! Aus irgendeinem Grund schien das Ganze Michael und Brandon LaBelle damals egal zu sein und so kamen wir zu diesem Namen.
Paul: In gewisser Hinsicht stimmt das, ja. Aber wichtiger ist, dass ich das Wort „farflung“ in dem Sinne auffasse, dass versucht wird, die weit entfernten Ecken des menschlichen Geistes zu erreichen.
Für die Musiker-Playlists in Legacy-Ausgabe #116 wurde die Band zu guter Letzt gebeten, ihre fünf Lieblingsscheiben zu nennen. Die Antworten fielen erwartungsgemäß ziemlich vielseitig und nicht immer der Norm entsprechend aus. Während sich Michael komplett aus der Affäre stiehlt, tischen Tommy und Paul ein Œuvre von weit mehr als fünf exquisiten musikalischen Leckerbissen auf.
Michael: Es ist mir unmöglich, fünf Lieblingsscheiben zu benennen...
Tommy: Ich hingegen kann mich nicht auf fünf beschränken. Aber in letzter Zeit mochte ich die nachfolgenden Platten sehr gerne:“
NEU! „Neu!“ / „Neu! 2“ / „Neu! `75“
CAPTAIN BEEFHEART „Lick My Decals Off, Baby“
HAWKWIND „In Search Of Space“ / „Space Ritual“
EROC „Eroc“ / „Eroc 3“
KRAFTWERK „Computer World“
CHROME „3rd From The Sun“
CABARET VOLTAIRE „The Voice Of America”
SEVERED HEADS „City Slab Horror”
HALF MAN HALF BISCUIT „Back In The DHSS”
THE GUN CLUB „Fire Of Love”
THE VERVE „Urban Hymns”
AMON DÜÜL II „Wolf City”
Paul: Ich nenne an dieser Stelle 13 meiner persönlichen Lieblingsalben:
MEAT PUPPETS „Meat Puppets II“
FAUST „Something Dirty“
HAWKWIND „Warrior On The Edge Of Time“
JUDAS PRIEST „Unleashed In The East“
Pauline Oliveros „Deep Listening“
Brian Eno „Ambient 4: On Land”
THE GUN CLUB „Fire Of Love”
SAINT VITUS „Die Healing”
TROUBLE „Psalm 9”
CAPTAIN BEEFHEART „Clear Spot”
SACCHARINE TRUST „We Became Snakes”
TALES OF TERROR „Tales Of Terror”
CHROME „Blood On The Moon”