Der heute unweit Berlin wohnende individuelle Querdenker tourte mit dem MASSAKER in der Vergangenheit mehrmals durch Amerika. Im Laufe dieser Konzertreisen kam dann auch der Kontakt zu den Leuten hinter Southern Lord zustande. „Mit Ausnahme von vielleicht Florida, Alaska und Hawaii kenne ich in den USA jeden Bundesstaat. Irgendwann trafen wir dort mal eine Band namens Engine Kid, bei der Greg Anderson spielte. Ich selbst kann mich gar nicht mehr daran erinnern, weil das schon so lange her ist und schließlich kann man sich in dem Beruf auch nicht alles merken! Das müsste so in der Zeit zwischen 1995 und 1997 gewesen sein. Damals wurden sowohl Southern Lord als auch Sunn O))) ins Leben gerufen. Wir standen zu dem Zeitpunkt noch bei Rough Trade unter Vertrag, dem ging eine bereits mehrere Jahre währende Zusammenarbeit voraus. Die lösten sich dann allerdings auf, unsere Band befand sich damals allerdings irgendwie in einem ähnlichen Zustand. Zwischendurch gab's dann immer wieder mal Anfragen aus den Staaten. Bei einer Probe vor etwa fünf oder sechs Jahren unterhielten wir uns über Southern Lord und fragten uns, was wir denn bei einem Metal-Label sollten? Denn ich dachte immer, die würden Dark Metal oder so was herausbringen. Gut, ich hab eigentlich keine Ahnung von Metal. Jedenfalls dachten wir alle, dass das nicht passt. Die Jungs waren jedoch unglaublich hartnäckig und hatten den Kontakt via Mail immer zu uns aufrechterhalten. Wir haben uns doch öfters hin- und hergeschrieben. Dann meinten sie mal zu mir, dass sie gerade erst was von Magma herausgebracht hätten, woraufhin ich hellhörig wurde und dachte, dass die nicht nur Metal machen. Southern Lord hatten sich geöffnet und das fand ich sympathischer. Und so haben wir uns dann auch getroffen, das war sehr nett, sehr einfach und sehr ehrlich! Daraufhin willigte ich in eine Zusammenarbeit ein. Zu der Zeit gab's MASSAKER eigentlich gar nicht mehr, ich habe übrigens allerdings eine andere Band, die sich gerade im Studio befindet und von der nächstes Jahr etwas Neues erscheinen wird. Intensiverer Kontakt zu Southern Lord besteht jetzt seit mittlerweile anderthalb Jahren. Stephen O'Malley und Greg kenne ich ja bereits auch schon von Sunn-O)))-Konzerten. Irgendwie ist das Ganze dann so zusammengekommen. Ich hatte von dem Ruf der Plattenfirma nicht wirklich viel mitbekommen, bis heute weiß ich nicht viel über das Label. Aber ich finde, dass sich die Zusammenarbeit mit den Leuten, die ich kenne und die das Label auch führen, sehr gut entwickelt. Zusammen mit Lauren Barley aus London, die die Promotion macht, ist das ein wirklich gutes Team geworden! Im Vorfeld hätte ich das gar nicht gedacht und das freut mich sehr! Deswegen habe ich auch beschlossen, ab diesen November bis ins kommende Jahr hinein mit MASSAKER wieder auf Tour zu gehen. Wir sind auch fast in der Originalbesetzung wieder zusammen. Allerdings fehlt zwar mit unserem Schlagzeuger Danny Arnold Lommen das Herz von MASSAKER, denn der macht keine Musik mehr. Dafür ist jetzt allerdings die Saskia von Kitzling mit dabei!“
Ein Wald bei Nacht
Man mag als Außenstehender zuweilen etwas durcheinanderkommen, wenn Caspar in nicht mehr allzu ferner Zukunft sowohl wieder mit dem MASSAKER auftritt als auch solo unterwegs ist. Brötzmann bringt Licht ins Dunkel: „Richtig, denn wir müssen da jetzt genau sein, habe ich doch mehrere Sachen am Laufen. MASSAKER ist das eine und MASSAKER geht auf Tour im November. Ich bin jedoch noch bei was Anderem zugange, was man nicht unbedingt als „Band“ bezeichnen kann. Das Ganze ist eigentlich noch gar nicht so richtig spruchreif, aber BASS TOTEM heißt das Kind, genauso wie auch das gleichnamige Stück von MASSAKERs Album „Der Abend der schwarzen Folklore“. Dann hab ich da noch was in petto, wo es eigentlich gar keine richtige Besetzung gibt, aber ich spiele auch noch solo unter meinem Namen und da trete ich zusammen mit Sunn O))) im Rahmen von zwei Konzerten in Berlin im Juli auf, weil das ziemlich gut zusammenpasst. Im Oktober spiele ich einen Teil, grob gesagt ein Drittel der Sunn-O)))-Tour mit, das sind vorwiegend Konzerte im Osten Europas. Und da freue ich mich schon sehr darauf! Um's noch mal ganz klarzustellen, ich bin Teil von MASSAKER (was ja einleuchtend sein sollte, haha!), dann gibt’s noch diese andere Band, wo ich alleine spiele, aber auch mit anderen zusammen. Das steht jetzt allerdings etwas hinten an und muss warten, bis MASSAKER auf Tour gewesen sind. Und dann kann ich mich auch wieder meinen neuen BASS-TOTEM-Sachen widmen.“
Die Musik seiner Solo- und Nebenprojekte kann man indes nicht wirklich mit dem brachial-atmosphärischen Sound des MASSAKERs vergleichen. „Ne, das ist anders, denn seitdem sind ja schließlich auch 30 Jahre vergangen! MASSAKER hat nie kommerziell gearbeitet, das kann man bei der Musik, denke ich, durchaus so sagen. Wir hatten versucht, Hendrix im Grunde genommen weiterzuentwickeln. Es war für mich auch eine Aufgabe, zu gucken, ob ich als Gitarrist der Welt noch was auf der Gitarre zeigen kann, was vorher vielleicht noch nicht so da war. In meinen Augen habe ich das mit MASSAKER geschafft. Insofern erinnert mich das immer etwas an eine Art Baum, der bereits ausgewachsen ist. Und deswegen spiele ich auch noch ein anderes Instrument, und zwar einen Sandberg-Bass, den ich allerdings so wie eine Gitarre bediene. Das verwirrt die Leute immer, wenn ich davon erzähle, aber meine neue Musik ist vom Charakter und von der Stimmung her vielleicht ähnlich, verfügt jedoch über eine ganz andere Kraft, weil da nicht so viele Töne eingesetzt werden. Dadurch wirkt das Ganze flächiger, zudem wird dort auch mit tiefen Frequenzen gearbeitet. Das ist dann eher ein Wald bei Nacht oder ein Güterwagen oder so. Das war für mich wichtig, weil ich MASSAKER immer als Musik begriffen hab, die nicht immer aufs Neue bewährte Rezepte wiederholt und zusammenbaut. So etwas kann ich irgendwie nicht, bevor ich so was machen müsste mach ich lieber gar keine Musik!“
Reale Ängste
Caspar selbst hat bereits Hendrix als inspirative Wurzel angegeben. Doch unabhängig von dem ureigenen Weg, den Brötzmann daraufhin beschritt gab es, insbesondere bei Werken wie „Koksofen“ oder „Der Abend der schwarzen Folklore“ auch unterschwellige Bezugspunkte zu experimentellen Formationen der damaligen Zeit. Vorsichtige Vergleiche mit den New Yorker Avantgarde-Meistern Swans fasst der Wahl-Berliner korrekterweise als Kompliment auf. „Swans habe ich natürlich gesehen und wir haben mit denen auch mal auf einem Festival gespielt. In der Zeit waren generell Künstler wie Nick Cave, Einstürzende Neubauten, Sonic Youth oder Killing Joke immens inspirierend. Außer mit Killing Joke sind wir damals mit all jenen Gruppen, die ich gerade genannt hab, auch live bei Festivals etc. aufgetreten. Wir waren da nie die Headliner, so weit haben wir's dann doch nicht geschafft, aber immerhin, hehe! Das war in etwa der Kreis, in dem wir uns damals so bewegt haben. In der Szene drin war ich nicht wirklich, denn mir kam's halt immer nur drauf an, Gitarre zu spielen! Das war natürlich schwierig, denn mit meinem Vater machte ich ja natürlich auch Musik. Es gab dann auf einmal Brötzmann & Hendrix und da im Leben keine Kopie zu sein und seinen eigenen Weg zu finden war nicht immer leicht. Mir blieb dann im Grunde genommen nichts anderes übrig als jahrelang, nächtelang einfach nur Gitarre zu spielen. Eins möchte ich hiermit gerne besonders hervorheben, nämlich dass ich es durch diese intensive Zeit des Gitarrenspielens geschafft hab, meine Eigenständigkeit zu finden! Das hat sich auch nur dadurch entwickeln können, dass ich praktisch gearbeitet hab. Und wenn du dann nachts im Proberaum bist, während alle schlafen und du machen kannst was immer du willst, begibst du dich auf ganz andere Ebenen, die man sich gar nicht ausdenken kann! Auf einmal merkst du, dass du hier richtig bist, man spürt das auch richtiggehend körperlich, dass das passt was man da gerade macht, dass das eine gute Idee ist etc. Und alles dann in voller Lautstärke, aber auch leise Sachen. Ich fühlte mich damals, als ich alleine probte, wie eine Art Bildermaler, ich versuchte immer Atmosphären zu treffen und habe das Ganze ebenso, teilweise in verschlüsselter Form, auf Platten gemacht.“
Auf dem 1992er Werk „Der Abend der schwarzen Folklore“ wurden die Kompositionen im Vergleich zu den beiden Frühwerken „The Tribe“ und „Black Axis“ länger und konnten dadurch ihren gewissen rituellen, beschwörenden Charakter weiter ausbauen. Einerseits verweist der Albumtitel in Richtung traditioneller Musikformen, wobei sich Caspar & Co. freilich fernab einer gemeinhin leider weit verbreiteten, kitschig-romantischen Interpretationsweise von „Volksmusik“ bewegen. Andererseits war das Album jedoch auch vom gegenwärtigen Zeitgeist, von aktuellen Geschehnissen geprägt. „Na ja, der Titel der Scheibe ist auf jeden Fall ein Hinweis darauf, dass die Rechten immer noch eine Bedrohung sind, das war ja damals schon so während der Zeit der Brandanschläge in Solingen usw. Ich hatte immer eine gewisse prophetische Sichtweise, die einfach auf einer Angst vor dieser Sache beruht und diese Angst ist heute noch real! Gegenwärtig braucht man sich ja gar nicht wundern, wenn da hinten mal schnell ein Atompilz hochgeht. Die Zeiten, die man jetzt so erlebt, sind schon ganz schön merkwürdig, muss ich schon sagen! Was ich früher nicht wollte, war, die direkte Konfrontation zu suchen oder Parolen zu schmieden. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen blöd, aber ich war schon immer weniger bei den Geistern, um zu gucken, sondern wollte vielmehr der Freiheit ihren Spielraum lassen. Ich konnte manche Sachen auch gar nicht so begründen, weswegen die Texte von „Der Abend der schwarzen Folklore“ irgendwie persönlich ausgelegt waren. Inhalt ist was Persönliches, aber da gibt es auch noch das Andere. Ein Teil davon ist jedoch auch, dass man immer etwas Angst hat vor dem rechten Zeugs, die ist bis heute geblieben und die gefällt mir bis heute natürlich überhaupt nicht!“
Leben und leben lassen
„Der Prophet im eigenen Land ist nichts wert…“: Kaum eine Redensart bezeichnet das Verhältnis des MASSAKERs zum Heimatland des Gitarristen treffender. Während Brötzmanns Kunst z.B. in den USA schon recht früh auch von Musikern außerhalb des puren Undergrounds anerkannt wurde, führt das MASSAKER in Deutschland immer noch ein Schattendasein, was sich spätestens im Zuge der Southern Lord – Wiederveröffentlichungen und den Konzerten mit SUNN O))) hoffentlich ändern dürfte…! „Ja, da wird immer viel drüber geredet. Also ich persönlich klage überhaupt nicht, haha, mir ist das total egal, weil wann immer ich auf eine Bühne gehen konnte, hab ich einfach immer gerne gespielt, egal wo das jetzt war! Es sei denn man gerät mal an Veranstalter, wo's nicht so viel Spaß macht, aber das ist nun auch mal schlichtweg Alltag. Okay, ich kenn natürlich Leute, die meinen, man würde hierzulande nicht so behandelt werden wie woanders, aber in Amerika ist die Situation ungleich härter, haha! Für mich und wie ich aufgewachsen bin hat das mit Grenzen nicht viel zu tun, das war mir eigentlich schon immer egal. Im Wesentlichen ging es eher darum, menschlich miteinander umzugehen, leben und leben lassen, das war eigentlich dann auch schon alles. Ob ich nun in Amerika oder hier in Europa gespielt hab war dabei allenfalls, wenn überhaupt, zweitrangig. Ich fand es eher interessant zu merken, dass ich, als ich dann länger in Amerika war, im Grunde genommen schon ein waschechter Europäer bin. Ich bekam dort schließlich Heimweh und das war auch mit einer der Gründe, warum ich nicht dageblieben bin. Also kehrte ich zurück und das war für meinen eigenen Seelenfrieden gut, denn das Europäische hatte mir wirklich gefehlt! Das wusste ich natürlich im Vornherein nicht über mich, aber wenn man selber erstmal so lange unterwegs ist und in so einem Apparat drinsteckt, sammelt man ebenso über sich selbst überraschende Erkenntnisse!“
Kein Interview, wo nicht auch Caspars berühmt-berüchtigter Vater zur Sprache kommt: Peter Brötzmann hat sich mit seiner Experimentierfreudigkeit im Free Jazz einen Namen gemacht und zählt hierzulande zu den Größen dieses Sub-Genres. Doch wenngleich Caspar und sein Vater in komplett unterschiedlichen musikalischen Welten zuhause sind, eint beide doch die Leidenschaft für ungewohnte, für Außenstehende zuweilen auch oft recht verschroben klingende Sounds. Und wie bei Peter gehen auch bei der Kunst seines Sohnes die Meinungen der Kritiker oft auseinander, während sie in Insider-Kreisen in höchsten Tönen gepriesen wird. Insofern kann vermutet werden, dass Caspars Verständnis von Musik nachhaltig von seinem Vater geprägt wurde. „Ja, das stimmt schon! O-Ton ‚das ist doch komplett wahnsinniges Zeug‘ - derlei Kommentare kenn ich durchaus, hehe! Eine Platte von meinem Vater habe ich mir damals als Kind freiwillig nicht aufgelegt, stattdessen bin ich mit eher harmonischerer Musik wie der von meiner Mutter groß geworden. Jazz hörte ich nur ab und zu und Free Jazz war die Musik meines Vaters. Bereits als Kinder, als wir so zwischen fünf bis zehn Jahre alt waren, sind wir mit auf seine Konzerte gegangen. Du siehst dir das dann alles so an, fährst zum ersten Mal mit nach Moers oder in die Balver Höhle, weißt allerdings nicht viel darüber, kapierst das auch nicht wirklich. Aber du merkst schon, wie die Musiker so miteinander umgehen. Was hat mich da am meisten geprägt, wenn man da überhaupt was rauspicken kann? Da ich das ja öfters gefragt werde, mache ich mir darüber schon Gedanken, wie ich das überhaupt beantworten kann. Und da fällt mir dann immer nur ein, dass wir schon damals, als wir sehr klein waren, am Küchentisch mit zehn anderen Leuten saßen, Menschen aller Hautfarben und aller Sprachen, die man sich vorstellen kann. Da hörte ich Holländisch, Englisch, Belgisch und Amerikanisch, sowie Deutsch von Mutter und Papa natürlich auch noch. Und dann ging's da immer ziemlich ab... Ich glaube, dass dieses gemeinschaftliche Miteinander mich und meine Schwester sehr geprägt hat. Und wenn man dann noch Konzerte sieht, wie mein Vater mit dem „Alarm-Orchester“ auftritt, war das schon beeindruckend. Live hat mich das mitgerissen, auf Schallplatte hingegen kann ich mir das bis zum heutigen Tag nicht einfach auflegen und anhören. Das live machen und miterleben ist, glaube ich, immer noch das wesentlich Wichtige. Auf jeden Fall bestand dieses ‚Alarm-Orchester‘ damals aus zehn Leuten, die wie Sirenen gespielt haben. Und das hab ich nicht vergessen! Wie die das alle zusammen gemacht haben fand ich damals einfach toll! Ansonsten sind es für meinen Geschmack zu viele Töne, waren die Stücke zu lang. Wenn man das allerdings live aufführt und dann auch so viele Töne spielt (was anderes bleibt einem ja gar nicht übrig), dann ist das wiederum okay! Auf Platte kann ich mir das jedoch nur schwer anhören! Ich möchte meinen Vater jetzt jedoch keineswegs verurteilen, schließlich kann er das ja spielen wie er das möchte! Aber prägend war wohl auch dass uns dadurch, dass meine Eltern damals noch sehr jung waren, nicht allzu viele Grenzen gesetzt wurden, dass uns nicht gesagt wurde, dass man sich so oder so zu verhalten habe. Mir und meiner Schwester hat man gezeigt, dass auch eine derartige Form von Erziehung funktioniert.“
Eine der schönsten Freiheiten überhaupt
Caspar hat in der Vergangenheit bereits mit Künstlern unterschiedlichster musikalischer Richtungen zusammengearbeitet, an dieser Stelle seien beispielsweise nur F.M. Einheit von den Einstürzenden Neubauten, Page Hamilton von Helmet, Thomas D von den Fantastischen Vier oder natürlich sein Vater Peter Brötzmann genannt. Jene stilistische Offenheit impliziert jedoch nicht, dass Brötzmann gewillt ist, alles nur Erdenkliche einfach mal auszuprobieren. Er muss schon vollkommen hinter dem was er da macht stehen können. „Musik, die ich nicht leiden kann, existiert sicherlich und sogar bestimmt ziemlich viel und in diesem Zusammenhang sogar auch Instrumente, mit denen ich nichts anfangen kann! Im Grunde genommen gibt’s für mich jetzt jedoch auch keinen Zwang, die Dinger zu spielen, ich muss das ja nicht machen! Genauso wie ich zum Beispiel jetzt auch kein Gericht essen würde, das ich nicht mag. Was ich vermeide ist Musik, die ich mir nicht kaufen würde, die ich mir nicht anhöre oder bei der ich umschalte. Ich selbst höre nicht viel Musik. Und eigentlich bin ich sogar recht wertfrei, weil ich finde, dass es egal ist, was die Leute machen, solange es noch Musik ist, ist es doch noch ganz gut! Und dann fand ich eigentlich auch immer, dass es mir nicht zusteht, jemanden, der tausend blöde Töne spielen muss, um einen oder zwei gute Ideen zu haben, zu verurteilen. Das geht anderen Musikern auch nicht anders und wenn die Leute dann in diese oder jene Schublade hin arbeiten, ist das mir eigentlich völlig schnuppe, haha! Der Klang von Musik ist eine der schönsten Freiheiten überhaupt! Auch wenn wir beide jetzt das gleiche Stück hören würden, würdest du wohl anders drüber denken und dich dabei anders fühlen als ich. Als freiheitsliebender Mensch finde ich, dass dies auch für alle anderen gilt. Mich hat eigentlich immer mehr interessiert, wenn ich mich mit Kollegen unterhalten hab, wie es einem gelingt, das umzusetzen, was man will oder was einem vorschwebt. Und das waren halt immer tolle Gespräche darüber, wie andere das machen oder wenn man mit ihnen dann zusammenarbeitet. Wie zum Beispiel mit Thomas D, das war ein reiner Zufall! Ich wusste auch nicht wie mir grad geschah, denn ich wollte ja eigentlich nur ein Solo spielen bei einem Stück und kannte ihn noch nicht mal! Und dann waren wir da in Conny Planks Studio und er kam Mittag einfach mal in seinem BMW angefahren, steuerte mit einem Stapel Papiere in der Hand auf mich zu und meinte: ‚Hey, guck mal, Caspar, das sind meine Texte.‘ ‚Na ja‘, erwiderte ich, ‚vielleicht könnten wir das anders angehen: Ich weiß jetzt von nix und vielleicht sollten wir diesen Vorteil der Unwissenheit einfach ausnützen, und ich mach einfach mal!‘ So hatten wir uns angefreundet, denn er packte alle Papiere wieder weg, grinste und sagte: ‚Genau so machen wir das jetzt!‘ So bin ich die ganze Produktion über dort geblieben. Das was musikalisch letztendlich dann draus geworden ist hat sich von dem was es damals war, als ich das Studio verlassen hatte, schon etwas unterschieden. Aber die Erfahrung möchte ich nicht missen, das war einfach 'ne gute Zeit!“
Zeitlose Kunst
Deutschland, die Heimat von Künstlern wie Karlheinz Stockhausen, Kraftwerk oder diversen Krautrock-Avantgardisten, welche die moderne, experimentelle Musik des 20. Jahrhunderts so sehr prägten. Deutschland, ein Land der Dichter und (Frei-)Denker. Ob es anno 2019 jedoch noch immer so viele wegweisende (Quer-)Köpfe gibt wie einst sei mal dahingestellt. Caspar zumindest ist einer davon… „Es gibt heutzutage so viele neue Musik von überall her, dass ich selbst gar keinen Überblick mehr habe! Durch das Internet und die digitale Welt, in der wir leben sowie aufgrund der Tatsache, dass alles erreichbar ist, können sich die Leute so austoben wie man das in der Gegenwart nun mal so macht, hehe! Ich komme mir da manchmal so vor, als hätte ich das alles noch gar nicht richtig begriffen. So hab ich z.B. vergangenen Samstagabend um 22 Uhr im Deutschlandradio durch Zufall was von einer russischen Komponistin namens Galina Ustwolskaja gehört, das ich supertoll fand! Die war so eigen, man hatte der zum 100. Geburtstag eine Sendung gewidmet. Heute erst hab ich mir das Lesezeichen herausgesucht, um das noch mal in Ruhe zu hören und aufzunehmen. Dadurch wollte ich eigentlich nur zum Ausdruck bringen, dass ich in Bezug auf die Möglichkeiten, was man heutzutage alles hören kann, überhaupt keinen Überblick mehr hab. Das ist alles so riesig und funktioniert meistens immer nur durch Zufall und dann kann man auch was hören was schon 100 Jahre alt ist, aber trotzdem heute voll in die Zeit passt! Leute, die man damals z.B. komplett ignoriert hat! Die Frau hatte auch ganz tolle Sachen gesagt und war mir sehr sympathisch! Ich würde dir ja gerne mehr darüber erzählen, aber leider kann ich das nicht, eben weil das für mich auch gerade neu ist. Ich wollte jedoch nur damit ausdrücken, dass es unglaublich viel gibt, was Leute so an Musik gemacht haben und machen, das plättet mich immer total! Mich fasziniert, welche Arten von Klängen heutzutage erschaffen werden können. Und ich bin jetzt auch mehr mit Sounds beschäftigt und mit diesem tollen Instrument, ich geh da mittlerweile an Orte, an denen ich selber noch nicht war. Ich komm grad aus dem Studio, vor etwa einer Woche haben wir neue Aufnahmen gemacht, unter anderem neue Stücke von BASS TOTEM sowie Sachen für das Programm, das ich mit Sunn O))) spiele. Und da hab ich dann auch was Neues, wo ich mich drauf freue, das live spielen zu können. Eines liegt mir indes noch auf dem Herzen: Bei der ganzen Sache mit Southern Lord usw. fand ich es schön, dass dadurch, dass jetzt die Platten neu herausgebracht werden, diese Musik nicht ganz verloren geht und es eine Art Archiv gibt. Damals war noch gar nicht die Rede davon, dass wir wieder live spielen. Dadurch dass das Interesse auf einmal wieder drängender war, meinten wir, dass wir das trotzdem machen. Vor etwa einem Monat musste ich mir die Testpressungen der alten Platten durchhören, um das Okay zu geben, dass der Sound stimmt usw. Ich hörte mir die Musik an und dachte mir, dass das ja gar nicht alt geworden ist! Es war total merkwürdig, da im Studio zu sitzen und zu merken, dass es so ist als hätte ich das gerade gestern erst aufgenommen! Und in Anbetracht des Zeitgeistes dachte ich, dass sich das nicht viel nimmt, dass das heute genauso gut passt wie damals, wahrscheinlich eventuell jetzt sogar noch besser als früher! Diese zeitlose Komponente war mit ein Punkt, als ich mir die Sachen von damals zum ersten Mal wieder angehört habe. Ich war nicht alleine, da waren natürlich auch diverse Freunde von mir mit im Studio dabei und wir lauschten dem zusammen, das ist dann auch noch mal anders. Da dachten wir: Wow, das war auch schon echt gut!“
Foto: Ulf Dieter