Hey Alan, wie geht es dir und dem Rest von Primordial? Ich hoffe, alle sind gesund, körperlich als auch mental.
Diese Situation ist abgefuckt. Das wird kein positives Interview, falls Ihr also nach etwas Leichtem und Optimistischem sucht, dann blättert lieber weiter. Ich bin gesund und überlebe, wir tun alle, was wir können. Mental ist es eine andere Geschichte. Das Einzige, was meine geistige Gesundheit noch rettet, ist Sport, Rennen und mich fit zu halten.
Hier soll es ja auch darum gehen, mit welchen neuen Wegen Musiker sich derzeit über Wasser zu halten versuchen. Wie sind die Ideen zu deinem Podcast und dem Patreon-Account zustande gekommen? Spukte das schon länger in deinem Kopf herum, oder ist es direkt Corona geschuldet?
Ich wollte schon seit Jahren einen Podcast machen, vielleicht vier, fünf Folgen, und die Grundidee war, auf Festivals mit anderen Musikern zu reden. Die Corona-Situation hat es beschleunigt, und nachdem mir quasi innerhalb einer Woche sowohl finanziell wie auch musikalisch komplett der Boden unter den Füßen weggerissen wurde, habe ich beschlossen, das nun voranzutreiben, um etwas anderes zu haben, auf das ich mich konzentrieren kann. Der Podcast dreht sich nicht vorrangig um politische Themen. Er ist lustiger, als die meisten Leute denken würden: alte Tourstorys, Reiseerinnerungen … Ich will mit einigen Gästen einen abseitigen, witzigen und aufschlussreichen Blick auf die Welt bieten. Aber es geht sicher nicht nur um „doom and gloom“. Den Patreon-Account habe ich schon seit Jahren, hatte ihn aber nie aktiviert. Irgendwie fühlt sich der Grundgedanke, nach Bezahlung fürs Kreativsein zu fragen, etwas seltsam an – aber die Realität ist nun mal, dass ich diese Bedenken runterschlucken und ihn aktivieren musste. Im Mittelalter war es ganz normal, dass Künstler von Gönnern unterstützt wurden, daher ist es vielleicht doch kein so seltsames Konzept, auch wenn es mir immer noch so vorkommt. Die kleine Community, die ich habe, ist sehr unterstützend, und ich poste dort eine Menge Demos, Bonus-Podcasts, Texte und anderes, um es für sie so lohnenswert wie möglich zu machen.
Welchen Content bekommen die Fans, die sich als Patreon registrieren lassen? Und denkst du, dass Websites wie Patreon und OnlyFans die Zukunft sind?
Traurigerweise denke ich, dass sie die Zukunft für viele Leute sind, dazu dann noch solche Sachen wie digitale Trinkgelder, wie es bei Gamern z.B. üblich ist. Ich stelle sechs bis acht Beiträge im Monat online, die Leute können sich entscheiden, für zwei davon zu zahlen, wenn sie das möchten. Du kannst mir glauben, dass das für mich immer noch seltsam ist. Eigentlich hatte ich eher vor, mich online zurückzuziehen, aber das war natürlich hinfällig, als all das jetzt passiert ist und mir keine andere Wahl blieb, als zu versuchen, ob es funktioniert. Ich hasse den Gedanken, dass das vielleicht die einzige Zukunft ist, aber momentan sehe ich als einzige andere Möglichkeit, zu verschwinden und in einer Hütte im Wald zu leben, also ist das wohl jetzt der Status quo.
Du warst immer sehr offen damit, wie wenig Geld Bands mit einem Status wie eurem zum Beispiel bei Spotify bekommen. Ist es realistisch, dass du das Geld, das du normalerweise auf der Tour mit Moonsorrow und Rome verdient hättest, nun durch deine Online-Aktivitäten reinbekommst?
Absolut nicht. Das macht keine 10% aus, und jeder, der das glaubt oder Bands ernsthaft rät, jetzt eben online ihr verlorenes Einkommen zu kompensieren, ist schwachsinnig. Rock/Metal hat sich seit 1976 oder 1986 gar nicht so sehr verändert – Bands müssen immer noch auf Tour gehen und Merch unter die Leute bringen. Ohne diesen Faktor ist die ganze Szene in Gefahr. Ich denke, dass Rock/Metal ohne Touren und Live-Auftritte nicht überleben kann.
Wie denkst du über Stream-Konzerte oder Social-Distancing-Gigs mit 50 Leuten Publikum?
Ich weigere mich, einen gestreamten Gig online „vorzutäuschen“. Vielleicht filmen wir mal eine anständige Probe, in der wir zugänglicher wirken und z.B. die Songs erklären können, aber wir werden sicher nie eine leere Live-Show spielen. Das wäre zu deprimierend, als dass ich dabei meine Contenance wahren könnte. Die Leute, die denken, das könnte eine neue Einnahmequelle für Bands sein, sollten mal ihren Realitätssinn zurechtrücken – das ist eine Sache, die Bands genau einmal machen können. Man kann nicht immer wieder dieselbe Online-Show mit unterschiedlichen Songs verkaufen, und auch Online-Festivals werden sicher nicht die Möglichkeit haben, die Bands entsprechend zu vergüten.
Anathema haben kürzlich ihr Corona-bedingtes Aus verkündet. Kam dieser Gedanke bei dir auch schon mal auf?
Ohne die Möglichkeit, live zu spielen und zu reisen, werde ich vielleicht auch hinschmeißen. Noch ein Album, und dann war es das erst mal, bis wir wieder auf die Bühne zurückkehren können. Ich sehe keinen großen Nutzen darin, Metal zu machen, wenn diese menschliche Interaktion fehlt. Vielleicht gibt es Musiker, die gern zu Hause bleiben, im Studio arbeiten, rumsitzen und Videospiele spielen, aber für mich ist Rock‘n‘Roll, Metal, Rock usw. ohne diesen menschlichen Austausch tot. Außerdem müssen wir auch an die ganzen anderen Leute denken: Crew, Sound-Engineers, Merch-Verkäufer, Roadies, Licht- und Kameramänner, Bartender, Caterer, Fahrer, Clubbetreiber, Bookingagenten, Festivalorganisatoren, Freiwillige, medizinische Betreuer, Techniker, Security … Die Liste von Leute, die im Kunstsektor involviert sind, ist endlos.
Hättest du damit gerechnet, dass Selbständige und Künstler von der Politik in ganz Europa derart zynisch abgefertigt werden?
Ich habe es erwartet, ich erwarte immer negative Folgen. Es wäre naiv, Staat und Regierung bezüglich des Wohlergehens von Kunst zu vertrauen, wenn diese in Irland immer wieder als ein trivialer Luxus angesehen wird. Es besteht kein Zweifel, dass man die Kunst hier in Irland ihrem Untergang überlassen hat. Wir haben den längsten und strengsten Lockdown in ganz Europa, es gibt keine Gigs, keine Live-Shows, keine Versuche, etwas mit Distanz zu machen, keine Comedy, keine Theatervorstellungen, keine Open Airs, mit denen der Staat der Gemeinschaft vielleicht etwas zurückgeben könnte. Es ist eine absolute Schande, aber keineswegs überraschend. Ich habe wirklich nichts Positives darüber zu sagen, wie Irland mit dieser Situation umgeht.
Denkst du, dass es jemals wieder wie früher werden wird, oder wird alles anders sein, auch wenn das Virus mal kontrolliert werden kann oder eine Impfung entwickelt wurde?
Das ist eine große Frage. Ich sehe, wie Vader eine kleine „Distanz-Tour“ machen, Marduk versuchen es auch, Cult Of Fire haben in Prag eine ausverkaufte Show gespielt, und ich habe auch von etlichen Bands gehört, die in ihren jeweiligen Städten Ähnliches versuchen. Ich wünsche ihnen für den Versuch, nicht aufzugeben, alles Gute! Jemand muss es versuchen. Ich denke, was passieren wird, sind kleine Shows mit 50 bis 100 Leuten in Venues, die für 5.000 ausgerichtet sind, oder auch Sitzkonzerte mit vielleicht 120 bis 200 Leuten. Vielleicht wird es auch von richtig großen Bands teure Konzerte im Vegas-Stil geben – mit täglichen Auftritten an einem festen Ort für ein, zwei Wochen oder einen Monat. Aber die mittelgroßen Bands, die 250 bis 750 Fans im Publikum brauchen und Flüge finanzieren müssen … Da sehe ich in absehbarer Zeit schwarz. Nicht zu vergessen, die diversen Reiserestriktionen. Aktuell gibt es für die irische Bevölkerung vier Länder, in die wie fliegen dürften, aber nur in eines davon gibt es auch Direktflüge. Bei der Heimkehr aus allen anderen Ländern müssten wir in Quarantäne, was für Leute, die arbeiten und/oder Familie haben – also quasi jeden – unmöglich ist. Die nächste Frage ist natürlich auch, ob überhaupt die Fluggesellschaften überleben. Es gibt da einfach so viele Nebeneffekte. Bei all meinem Pessimismus wäre ich sehr glücklich, wenn ich mit allem unrecht habe und mein momentaner Blickwinkel einfach durch die inkompetente Handhabung hier im Land getrübt ist. Ich hoffe, dass die Leute es weiter versuchen und überall in Europa wieder mehr Freiheit erleben. Keine Livemusik oder Szene für uns heißt auch: Keine Sommerfeste in Eurer jeweiligen Kleinstadt, kein Oktoberfest, kein Outdoor-Theater, kein Salsaclub für Oma, kein Amateurtheater für deine Mutter oder Blaskapellenprobe für deinen Vater. Wir sehen hier gerade, wie das, was unsere ganze Gesellschaft zusammenhält, auseinandergerissen wird.
Ein letzter Kommentar oder etwas Wichtiges, das du noch zu der momentanen Situation loswerden willst?
Ich würde die Leute gern anregen, die Tür zumindest für einen gewissen Grad an kritischem Denken zu öffnen – damit meine ich natürlich nicht die ganze Verrücktheit, Dunkelheit und die Verschwörungstheorien, die die Runde machen. Aber man sollte versuchen, die Situation rational zu betrachten und eine kritische Einschätzung vornehmen. Wer profitiert wovon? Was kann ich tun, um die Situation zu verstehen, zu ändern oder zu helfen? Ich weiß, dass einige Leute lieber den Kopf in den Sand stecken, den staatlichen Institutionen vertrauen und darauf hoffen, dass schnell alles wieder normal ist – denn sich vorzustellen, dass es nie wieder so wird, ist mental einfach zu schwer zu ertragen, das verstehe ich schon. Aber versucht einfach mal, wenigstens 10 oder 20% Eurer des kritischen Denkens fähigen Hirnmasse anzustrengen. Klar, ich sehe aus, als wäre ich nur der Sänger einer Metal-Band, stimmt‘s? Kommt nicht wegen politischer Ratschläge zu mir, aber fragt Euch selbst – was ist Böswilligkeit und was ist Inkompetenz? Bezüglich unserer Szene … Das könnte das Ende von Rock‘n‘Roll, wie wir ihn bisher kannten, sein. Wie sollen Bars, Clubs und sonstige Locations denn noch ein Jahr ohne Einkommen überstehen? Das werden sie vermutlich nicht – und welche Szene ist dann noch für deine Subkultur da? Ich hoffe, dass ich mich mit allem irre. Doch als das Ganze gerade einen Monat lief, habe ich schon gesagt, was passieren würde – und hier sind wir auf dem Weg in den Winter, und ich hatte mehr oder weniger mit allem recht, auch wenn ich es mir anders wünschen würde. Vielleicht bin ich das Opfer meines eigenen negativen Online-Algorithmus‘, und die Dinge sind gar nicht so schlimm, wie sie gerade scheinen, und in einem oder zwei Jahren schauen wir auf diese Zeit als ein Schlagloch auf dem Weg zurück – mit einem Bier in der Hand auf einem Festival, während wir Live-Musik genießen. Doch etwas sagt mir, dass es eher so sein wird, dass es eine Prä- und eine Post-COVID-Welt gibt.
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