Vincent (Karim Leklou) ist ein absoluter Normalo, welcher sich seine Brötchen in einem Architekturbüro verdient. Abseits von seinen schlechten Witzen auf Kosten anderer gibt es keine Gründe, gegen ihn Argwohn zu verspüren. Trotzdem schlägt ein Praktikant mitten aus dem Nichts mit seinem Laptop auf ihn ein und verpasst ihm eine ordentlich Wunde. Erklären kann dies niemand, erst recht nicht Vincent, und so richtig glauben tut ihm auch niemand. Warum sollte ihn der Praktikant auch einfach so angreifen, da muss doch was vorgefallen sein.
Nachdem ein anderer Kollege ihn mit einer Schere attackiert, wird Vincent aus Sicherheitsbedenken ins Home-Office versetzt. Vincent selbst versteht die Welt nicht mehr. Leider bietet auch die verordnete Arbeit von zu Hause keine Ruhe, da selbst wildfremde Leute ihm plötzlich nach dem Leben trachten. Daher beschließt Vincent, ins Ferienhaus seines Vaters zu fahren, um sich, soweit es geht, von der Außenwelt zu isolieren. Dies ist jedoch schwieriger als gedacht, denn jeder Blickkontakt mit anderen Menschen löst in diesen den Drang aus, Vincent ermorden zu wollen. Wie soll man unter diesen Umständen nur weiterleben? Als sich auch noch eine romantische Beziehung mit der Kellnerin Margaux (Vimala Pons) anbahnt, steuert alles nur noch auf ein riesiges Absurdum zu.
VINCENT MUST DIE ist so ein Film, der in seinen ersten Minuten Fahrt aufnimmt und ohne zu bremsen Vollgas gibt. Der Zuschauer wird von einem Extrem ins nächste geworfen und kann nur leidend zuschauen, wie dem armen Vincent ständig der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Gerade zu Beginn des Films steigt die Spannung, da der Zuschauer, genau wie Vincent, im Unklaren gelassen wird, warum dies alles passiert. Dadurch wirken viele Szenen äußerst bedrohlich, selbst wenn sie am helllichten Tag passieren. Das Unverständnis der anderen Leute zu Vincents Situation lässt dabei die Dramatik ins Unermessliche steigen. Zu keiner Minute wirkt der Film langweilig oder dröge, schießt aber auch gleichzeitig niemals über das Ziel hinaus, sodass die Handlung immer im Vordergrund steht. Trotz aller Sympathien, die der Zuschauer für Vincent hegen könnte, hat VINCENT MUST DIE auch etwas von Katastrophen-Tourismus und bietet einige Lacher, da immer wieder die Frage aufkommt, was dem armen Kerl wohl als Nächstes passiert. Eines ist jedoch immer klar: Zimperlich wird dabei nie mit ihm umgegangen. Bis zum großen Finale nimmt der Thriller den Zuschauer auf eine rasante Achterbahnfahrt der Emotionen mit und lässt Stück für Stück in die Abgründe des menschlichen Verhaltens blicken.
Die Handlung selbst ist aber nichts ohne die großartige Kameraarbeit, die in VNCENT MUST DIE steckt. In den vielen Szenen, in denen Vincent um sein Leben bangen muss, wurde ordentliches Filmhandwerk betrieben, und trotz des sich teils überschlagenden Geschehens wird alles so eingefangen, dass der Zuschauer die Action ohne Probleme verfolgen kann. Die gesamte Inszenierung ist ein weiteres Highlight des Films. Durch die geschickte Verwendung von Licht und Schatten werden die Gefühle von Angst und der stetigen Bedrohung, die Vincent umgibt, perfekt zur Schau gestellt.
Ebenfalls zu unterhalten weiß Karim Leklou („The World Is Yours“), welcher Vincent in seiner großen Tragödie verkörpert. Allein das innere Zerwürfnis und das Unverständnis über die Situationen, die ihm widerfahren, bringt Leklou durch sein hervorragendes Schauspiel so authentisch rüber, dass man jede Sekunde mitleidet. Man kann die Angst und den Druck, unter dem er steht, förmlich spüren. Doch Leklou ist nicht der Einzige, der alles gibt. Vimala Pons („The Wild Boys“) als Margaux ist eine perfekte Wahl, um an Leklous Seite zu überzeugen. Sie spielt ihre Rolle als nihilistische Kellnerin eines Fast-Food-Restaurants so lebensnahe, dass kurz Zweifel aufkommen können, ob ihr Leben nicht doch schlimmer als Vincents ewiger Fluchtversuch vor seinen Verfolgern ist. Das schauspielerische Niveau ist, wie man es aus dem französischen Film kennt, allerdings generell sehr hoch. Auch die kleinsten Rollen wurden hervorragend gecastet und machen den Film in seinem aberwitzigen Szenario erst lebendig.
Doch nicht nur ein Bild ist wichtig, sondern auch der dazugehörige Sound. Die musikalische Untermalung von John Kaced (Blueberry Summer) ist wunderbar ausgewählt worden und gibt den einzelnen Szenen eine besondere Wirkung. Spannende Szenen kommen automatisch kraftvoller rüber, während die emotionaleren Stellen des Films durch die Musik noch intensiver auf den Zuschauer einwirken. Auch die deutsche Vertonung kann sich übrigens hören lassen. Während Cineasten VINCENT MUST DIE im Jahr 2023 noch im originalen französischen Ton auf der Leinwand des Fantasy Film Fest schauen mussten, gibt es durch die Disc-Fassung nun auch eine deutsche Tonspur. Gerade die Synchronarbeit des Sprechers von Vincent überzeugt auf ganzer Linie und schafft es, die vielen wechselnden mentalen Zustände, die Vincent durchlebt, überzeugend rüberzubringen. Die Sprecherin von Margaux erweckt diese und all ihre Eigenheiten mit ihrer Stimme zum Leben. Doch auch bei den Nebenrollen wurde nicht an guter Besetzung gespart. Der Sprecher von Vincents Vater Jean-Pierre (François Chattot) holt eine wunderbare Performance raus, und das trotz geringer Screen Time. Insgesamt ist die deutsche Vertonung authentisch und sehr passend besetzt. Für Fans der französischen Sprache ist der Originalton selbstverständlich ebenfalls auf der Blu-ray enthalten.
VINCENT MUST DIE ist ein rasanter, irrwitziger und actiongeladener Thriller, welcher schockt und gleichzeitig mitfühlen lässt. Zwischen Bedrohung und Angst wirft VINCENT MUST DIE einen Blick auf die Abgründe der menschlichen Natur. Für Fans des etwas außergewöhnlicheren Kinos ist der Film also absolut empfehlenswert!
Dank des Ascot Elite Filmverleihs ist der Film ab dem 24. Oktober zum Download, auf DVD, Blu-ray und als limitierte Mediabook-Blu-ray erhältlich.
Philip Brülke
VINCENT MUST DIE
Land/Jahr: Frankreich/Belgien 2023
Label: Ascot Elite Entertainment
FSK & Laufzeit: ab 16, ca. 108 Min.
Verkaufsstart: veröffentlicht