Skip to main content

Das Subgenre des Spinnenhorrors hat eine lange Geschichte, die sich bis in die 1950er Jahre zurückverfolgen lässt. Erstmals wurde man 1955 in Jack Arnolds „Tarantula“ auf der Leinwand mit den Achtbeinern konfrontiert – der Film gilt bis heute als der Klassiker des Genres. Im Laufe der Jahre folgten zahlreiche weitere gelungene Genrefilme, darunter das berüchtigte „Kingdom Of The Spiders“ von 1977 und der deutlich humorvollere 90s-Hit „Arachnophobia“, die sich beide tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Spinnen, ohnehin schon Auslöser einer der häufigsten Phobien, wurden so zu regelrechten Ikonen des Tierhorrors. 

Seither gibt es eine kaum zu überblickende Zahl von Filmen über mörderische Achtbeiner. Der neueste Beitrag zum Genre kommt von Sébastien Vaniček, einem aufstrebenden Autor und Regisseur, der hier sein Langfilmdebüt feiert. Man darf sich zu Recht fragen, ob der Spinnenhorror noch Raum für Neues bietet oder ob nicht längst alles erzählt wurde, was das Subgenre der arachnophoben Abenteuer  anbietet. 

Vaniček beantwortet diese Frage eindeutig, indem er mit SPIDERS – IHR BISS IST DER TOD eine überraschend frische Interpretation des Stoffs liefert. Seine Geschichte entfaltet sich in einer Pariser Hochhaussiedlung, einem sozialen Brennpunkt, wo eine aggressive, hochgiftige und invasive Spinnenart irgendwo aus der Wüste auftaucht. Diese gelangt über den Schwarzmarkt in ein Pfandhaus und von dort in die Wohnung des jungen Kaleb (Théo Christine), der die exotische Kreatur sorglos Rihanna tauft und in einem Schuhkarton aufbewahrt. Trotz warnender Hinweise entkommt die Spinne, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Was folgt, ist ein Albtraum für jeden Arachnophobiker: Die Spinnen vermehren sich mit alarmierender Geschwindigkeit und übernehmen nach und nach das gesamte Gebäude. Sie kriechen durch Wände, lauern in Lüftungsschächten und hängen an Decken – bereit, jeden Moment zuzuschlagen. Um eine Ausbreitung des Schreckens zu verhindern, stellen die Behörden das Gebäude unter strenge Quarantäne. Niemand darf das Hochhaus verlassen. Nichts und niemand soll aus dem Gebäude entkommen … 

Vaniček versteht es meisterhaft, die Spannung kontinuierlich zu steigern. Kaleb, seine Schwester Manon (Lisa Nyarko) und ihre Nachbarn kämpfen ums Überleben in diesem urbanen Labyrinth, das immer enger und bedrohlicher wirkt. Der Film wird dabei zu einer finsteren Hommage an die klassischen Horrorhäuser. Jede dunkle Ecke, jede Tür birgt die nächste tödliche Überraschung. Die klaustrophobische Inszenierung der engen Gänge und düsteren Räume verstärkt das Gefühl, dass keine Flucht möglich ist. Die Spinnen erscheinen weniger als typische Monster, sondern als eine allgegenwärtige, bedrohliche Macht. Das Gefühl, dass niemand sicher ist und weder den Protagonisten noch den Zuschauerinnen und Zuschauern eine Atempause gegönnt ist, hält einen durch den ganzen Film gefangen. 

Und das ist wirklich perfekt inszeniert. Die Jumpscares sitzen punktgenau, doch der wahre Grusel entsteht in den stillen, intensiven Momenten. Vaniček spielt geschickt mit dem Licht, was eine zentrale Rolle in der Inszenierung einnimmt. Sobald das Licht erlischt, übernehmen die Spinnen das Kommando, und die Bedrohung wird allgegenwärtig. 

Dass das so hervorragend funktioniert, liegt natürlich auch zu einem großen Teil an der erstklassigen Machart, die den Film deutlich von der Masse an billigem Spinnen-Trash abhebt, der die DVD-Regale unsicher macht. Besonders eindrucksvoll ist dabei die Darstellung der Spinnen: Beim Dreh kamen zahlreiche lebendige Spinnen zum Einsatz, diese bekamen zudem Verstärkung durch Artgenossen, die mit animatronischen und computergenerierten Effekten zum Leben erweckt wurden. Diese sorgfältig abgestimmte Kombination verleiht den Kreaturen eine erschreckende Authentizität. Das echte Horror-Potenzial liegt jedoch in den Folgen der Spinnenbisse: Die körperlichen Transformationen der Opfer sind drastisch und unheimlich, was den Film gelegentlich ins Territorium des Body Horrors führt. 

Doch trotz dieser Genrekonventionen ist SPIDERS – IHR BISS IST DER TOD weit mehr als ein reines Creature Feature. Hinter der Fassade des Spinnenhorrors verbirgt sich eine tiefere Ebene. Vaniček nutzt die Pariser Vorstadt als Bühne, um subtil auf soziale Missstände hinzuweisen. Die meist multiethnischen Bewohnerinnen und Bewohner der Banlieue, von der Gesellschaft ausgegrenzt und mit minimalen Ressourcen ausgestattet, müssen sich nicht nur den Spinnen, sondern auch der Ignoranz der Behörden stellen. Die Quarantäne, die über das Gebäude verhängt wird, verstärkt das Gefühl der Isolation und Hilflosigkeit, das die Bewohner empfinden. Es ist ein deutlicher Kommentar zu den Spannungen zwischen den sozial Schwächeren und den Mächtigen. 

Besonders bedrückend sind die Szenen, in denen die staatlichen Stellen es ablehnen, den eingeschlossenen Menschen zu helfen. Diese gleichgültige Haltung gegenüber dem Leiden der Bewohner verstärkt den Eindruck, dass sie eher gegen eine Gesellschaft kämpfen, die sie abgeschrieben hat, als „nur“ gegen Spinnen. 

Die schauspielerischen Leistungen tragen ebenfalls maßgeblich zum Gelingen bei. Hauptdarsteller Théo Christine, der zuvor in „Gran Turismo“ als Marcel Durand auf sich aufmerksam machte, liefert eine nuancierte Performance ab. Sein Kaleb ist weder der klassische Held noch der hilflose Außenseiter. An seiner Seite brillieren Sofia Lesaffre, die bereits in dem  viel gelobten Drama „Die Wütenden – Les Misérables“ eine Person aus dem Milieu porträtierte, und Lisa Nyarko, die hier ein eindrucksvolles Kinodebüt gibt. 

SPIDERS – IHR BISS IST DER TOD ist nicht nur ein intensiver, nervenaufreibender Horrorfilm, sondern auch ein nachdenklich stimmender Kommentar zur sozialen Ungleichheit. Sébastien Vaniček gelingt es meisterhaft, das altehrwürdige Genre des Spinnenhorrors auf originelle Weise zu interpretieren, während er gleichzeitig tiefgründige gesellschaftliche Themen anspricht. Ein Werk, das sowohl durch seine beklemmenden Gruselmomente als auch durch seine subtile gesellschaftskritische Dimension überzeugt. Das sehen auch Stephen King und Sam Raimi so, die voll des Lobes für SPIDERS sind, Sam Raimi verpflichtete gar Sébastien Vaniček für den nächsten Teil seiner Kulthorrorreihe „Evil Dead“. 

Für eingefleischte Horrorfans gibt es keinen Zweifel: SPIDERS – IHR BISS IST DER TOD ist eines der cineastischen Highlights des Jahres. Die klaustrophobische Inszenierung, die präzise gesetzten Schockmomente und die beeindruckenden visuellen Effekte entfalten im Filmtheater ihre volle Wirkung. Wer sich von der Spannung des Tierhorrors mitreißen lassen möchte, sollte sich ab dem 21. November ein Ticket sichern, um den Film in seiner ganzen Intensität im dunklen Kinosaal zu erleben – wenn das Licht ausgeht und das Krabbeln beginnt …

Florian Tritsch

Titel: SPIDERS – IHR BISS IST DER TOD

Land/Jahr: Frankreich 2024

Label: PLAION PICTURES

FSK & Laufzeit: ab 16, ca. 106 Min.

Kinostart: 21. November